Muskulöse Menschen sind in der Regel recht stark und starke Menschen sind oft auch muskulös, aber auch nur wenn beide sowohl Kraft- als auch Muskelaufbautraining betreiben. Denn rein physiologisch hat Kraftentwicklung nichts mit Muskelaufbau zu tun.
Die meisten Athleten müssen verdammt stark sein. In diesem Kapitel geht es darum so schnell wie möglich sehr stark zu werden und nicht den Fehler zu begehen, Krafttraining und Muskelaufbautraining zu verwechseln. Ein reiner Krafttrainingsreiz beinhaltet keinen Trainingssatz der länger als 20 Sekunden dauert. Alles, was länger dauert, ist eine Mischform oder Energiesystemtraining.
Für Sportler in Gewichtsklassen, für Kampfsportler, für Sprinter, Springer, Turner und Eishockeyspieler ist es sehr wichtig, diesen Unterschied zu verstehen. Für alle diese Sportarten ist nicht die reine Kraft entscheidend, sondern vor allen Dingen das Verhältnis von Kraft zu Körpergewicht. Je mehr Kraft ein Athlet im Vergleich zu seinem Körpergewicht hat, desto höher ist seine relative Kraft. Und das ist für alle Sportler, die ihren eigenen Körper im Raum bewegen müssen, eine zentrale Fähigkeit.
Daher ist es wichtig zu verstehen, was der schnellste Weg zu mehr Kraft ist, ohne den Umweg über Muskelaufbau gehen zu müssen. Es gibt Situationen in denen extra Muskelmasse wichtig ist. Denn Muskelmasse hat nicht nur eine verletzungspräventive Funktion als Schutzpanzer, sondern ist auch ein psychologischer Vorteil für den Athleten.
Definieren
Jetzt müssen wir für uns noch das Wort Kraft definieren. Dazu eine Frage an Euch. Angenommen ihr hättet zwei Athleten. Alle Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie das Körpergewicht von Athlet A und Athlet B sind identisch. Der einzige Unterschied ist die Kraft. Ihr testet die Kraft mit einer maximalen Kniebeuge und Athlet 1 hat eine maximale Kniebeuge von 140kg, Athlet 2 hat eine maximale Kniebeuge von nur 110kg.
Warum es wichtig ist, stark zu sein und wie man Kraft wirklich auf das Feld bringt?
Der menschliche Körper kann Kraft nicht von 0 auf 100% an- und ausschalten. Er braucht eine kurze Weile um seine Kraft voll aufzubauen. Und wie schnell die maximale Kraft entfaltet ist, hängt von individuellen Fähigkeiten ab.
Die Fähigkeit, in kurzer Zeit viel Kraft zu entfalten, nennt sich Schnellkraft (POWER). Denn Leistung (engl. Power) ist physikalisch die geleistete Arbeit (also Kraft über eine bestimmte Strecke) pro Zeit. Je schneller ein Athlet gegen einen Widerstand arbeiten kann, desto höher ist seine Schnellkraft. Da die meisten Team Sportarten in einem sehr begrenzten Zeitfenster stattfindet, ist die entscheidende Qualität nicht die Maximalkraft, sondern die Schnellkraft.
Athlet 1 ist zwar stärker, aber er braucht viel länger, um seine Kraft voll zu entfalten. Erst nach 500ms bewegt sich das Gewicht, weil er erst dann seine 140kg Kraft aufbringen kann. Athlet 2 hat schon nach 300ms sein volles Kraftlevel von 110kg erreicht und das Gewicht bewegt sich bereits nach 300ms.
Die Rate der Kraftentwicklung spielt eine grosse Rolle im den meisten Sportarten. Athlet 1 hat zwar die höhere Maximalkraft, aber in den kurzen Zeitfenstern bis 300ms kann Athlet 2 mehr Kraft aufbringen und wird damit schneller skaten und härter schießen als Athlet 1. Die Trainingsmethodik bestimmt, wie sich die Kraftentfaltung des Athleten entwickelt. Schnellkrafttraining verformt die Kurve ähnlich wie bei Athlet 2. Ein Maximalkrafttraining verschiebt die Kurve wie bei Athlet 1.
Welcher Athlet ist für Eishockey also interessanter?
Der Athlet der erst nach 500ms die höchste Kraft hat (-> Maximalkraft), oder der Athlet der bei 300ms bereits die höchste Kraft aufs Eis bringt (-> Schnellkraft)?
Bei den Nächsten Graphen stammen von zwei Eishockeyprofis mit ähnlichen Maximalkraftleveln in der Kniebeuge. Bei geringen Lasten bestehen allerdings große Geschwindigkeitsunterschiede. Das hat sich auch in Schnellkrafttests mit nur dem eigenen Körpergewicht gezeigt. Die Sprungkraftwerte von Athlet 2 sind dramatisch besser als von Athlet 1, da er in kurzer Zeit mehr Kraft aufbringen kann, beziehungsweise geringere Lasten viel schneller beschleunigen kann als Athlet 1.
Der beste Test, um zu testen, ob ein Athlet in der kurzen Zeit, die man hat, um Kraft auf das Eis zu bringen, auch wirklich viel Kraft entfalten kann, ist ein vertikaler Sprungtest. Deshalb hat der vertikale Sprungtest auch so eine hohe Korrelation mit Geschwindigkeit auf dem Eis.
Das ist auch einer der Gründe, warum Sprungtraining und Medizinballtraining so wertvoll für Eishockeyspieler sind. Das ist auch der Grund, warum olympisches Gewichtheben so wertvoll für Eishockeyspieler ist.
Es werden mittelschwere Lasten mit einer maximalen Geschwindigkeit bewegt. Das gibt dem Spieler sehr viel Schnellkraft (Power). Maximalkrafttraining hat auch seinen Stellenwert, aber auch ein hohes assoziiertes Risiko.
Maximalkraft wird über schwere Lasten bei geringen Geschwindigkeiten trainiert.
Schnellkraft wird über hohe Geschwindigkeiten bei mittelschweren Lasten trainiert.
Muskelaufbau wird bei mittelschweren Lasten, geringen Geschwindigkeiten und maximalen Wiederholungszahlen trainiert.